Einleitung

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archäologisch

 

Zuletzt aktualisiert am: Mittwoch, 2. Mai 2007 

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Magisterarbeit
Martin Nagel: Umwelt, Besiedlungs- und Kulturgeschichte in Nordost-Niedersachsen während der Älteren Bronzezeit

 

[1] EINLEITUNG

[1.1] Problemstellung

Archäologische Daten, per se Funde und Befunde, sind Zeugnisse menschlichen Lebens und Handelns in der Vergangenheit.

Daraus ergibt sich, daß das übergeordnete Ziel archäologischer Forschung darin liegt, durch Analyse und Interpretation der zur Verfügung stehenden Informationen zu historischen Aussagen zu gelangen.

In diesem Sinne versteht sich die vorliegende Untersuchung als Beitrag zu einer Bestandsaufnahme der bisher auf diesem Wege geleisteten Arbeit. Gleichzeitig wird angestrebt, auch Bereiche außerhalb des engeren fachlichen Rahmens zu erfassen, die möglicherweise Aufschlüsse über die während der Älteren Bronzezeit herrschenden Interdependenzen zwischen den damals im nordöstlichen Niedersachsen lebenden Menschen und ihrer natürlichen Umwelt geben.

Eines der wichtigsten Teilprobleme ist dabei die Untersuchung zeitlicher und räumlicher Strukturen und Prozesse, die sich in den menschlichen Hinterlassenschaften manifestiert haben. Erst aus der Synthese dieser Erkenntnisse heraus werden sich Aussagen über kulturelle Verhaltensweisen, über Einflüsse oder Abhängigkeiten, über Wechselwirkungen oder Eigenheiten im komplexen System der geschichtlichen Entwicklung treffen lassen.

 

[1.2] Abgrenzung

[1.2.1] Räumliche Abgrenzung

Nordost-Niedersachsen ist kein vom geschichtlichen Sprachgebrauch her zu definierender Raum, dafür liegen größere territoriale Veränderungen, die zur Bildung des heutigen Bundeslandes Niedersachsen führten, noch zu sehr in der Gegenwart - 1937 Groß-Hamburg-Gesetz, 1946 Vereinigung der preußischen Provinz Hannover mit den Freistaaten Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg- Lippe (Stichwort Niedersachsen, in: WESTERMANN LEXIKON DER GEOGRAPHIE 1983, III, 539). Außerdem wäre zu bezweifeln, ob eine allein auf einer solcher Basis beruhende Regionalisierung aus prähistorischer Sicht zu rechtfertigen wäre.

Aus diesen Gründen sollen hier vorwiegend solche raturräumlichen Phänomene zur Eingrenzung genutzt werden, die seit Beginn des Holozän als relativ stabil angesehen werden können. Gleichermaßen als morphologische und hydrologische Leitlinie bietet sich im Norden das Elbe- Urstromtal als natürliche Grenze an, welcher im Süden das Aller-Weser-Urstromtal als physisch-geographische Parallele entspricht. Eine räumliche Verknüpfung finden diese Abgrenzungen in der, von Wümme und Oste entwässerten, breiter Niederungszone im Westen. Nach Osten hin fällt es schwer, eine ähnlich deutliche Linienführung aufzuzeigen, weil aus forschungsgeschichtlichen Gründen die Lüchower Niederung in das Arbeitsgebiet einbezogen werden soll. Deshalb wird hier im nördlichen Bereich eine vom Gliederungsprinzip abweichende Grenzziehung gewählt, die dieser Vorgabe entspricht, und die nach Süden in den naturräumlich vorgegebenen Verlauf der Ohre-Niederung einmündet (Karte 1).

Nach der modernen Verwaltungsgliederung umfaßt das Arbeitsgebiet, z.T. mit randlichen Beschneidungen, die Kreise Stade, Harburg, Lüneburg, Lüchow-Dannenberg, Bremervörde,
Rotenburg/W., Soltau, Uelzen, Verden, Fallingbostel und Celle (alle Reg.Bez. Lüneburg), den Kreis Gifhorn (Reg.Bez. Braunschweig) und das Gebiet des Bezirksamtes Hamburg-Harburg. Diese Angaben beziehen sich zur besseren Vergleichbarkeit mit älteren Publikationen auf den Stand vor der Ende der siebziger Jahre in Niedersachsen durchgeführten Gebiets- und Verwaltungsreform.

  [Karte 1] Topographische Übersicht (GIF-Datei 48,1 KB)

 

[1.2.2] Zeitliche Abgrenzung

Ohne schon an dieser Stelle auf Forschungsgeschichte und Forschungsstand eingehen zu wollen, ist es doch notwendig, zur Festlegung des chronologischen Rahmens auf einige wenige ältere Arbeiten zu verweisen.

Die in ihren Grundzügen heute noch gültige zeitliche Periodengliederung des "Nordischen Kreises", vornehmlich in Dänemark und Südschweden, stammt von O. MONTELIUS (1885; 1900). Die hier zu bearbeitende Ältere Bronzezeit umfaßt nach diesem System in der Hauptsache die Perioden II und III, wobei Periode II, wie auch die Periode I durch Untersuchungen von G. JACOB- FRIESEN (1967) und E. LOMBORG (1968; 1973) inhaltlich modifiziert wurden In Süddeutschland ist das von P. REINECKE (1924) und in seiner Nachfolge von F. HOLSTE (1939; 1953) entwickelte Konzept als vergleichbare, aber noch nicht zu parallelisierende Grundlage der chronologischen Bestimmung und Einordnung vorhanden. In dieser Gliederung umfaßt die Ältere Bronzezeit die Stufen BZ B - D.

Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß keines dieser beiden großen Zeitgerüste als chronologische Leitlinien für das Arbeitsgebiet unmittelbare Gültigkeit besitzen,und daß damit ein so abgesteckter relativ-chronologischer Rahmen nur eine sehr grobe Richtschnur sein kann. Unter dieser Einschränkung ist auch der absolute Datierungsansatz für einen Zeitraum ca. zwischen 1600 und 1100 v.Chr. zu sehen.

Wenn man sich darüber hinaus klar ist, daß eine noch so festgefügt scheinende Perioden- oder Stufengliederung nichts anderes als ein modernes Hilfsmittel zur schematischen zeitlichen Kategorisierung von historischen Prozessen darstellt, scheint es sinnvoll zu sein, zusätzliche, erweiternde Kriterien explizit einzubeziehen.

Die Bronzezeit wird, wie der Name sagt, vom vorausgehenden Neolithikum durch das Auftreten dieses Metalls im archäologischen Fundgut gekennzeichnet. Die weitere Untergliederung folgt unterschiedlichen Regeln: Die Trennung zwischen Frühbronzezeit und Älterer Bronzezeit wird zum einen aus der nunmehr nahezu flächendeckenden Verbreitung dieses Werkstoffes in Mitteleuropa, andererseits aus der, dem Material auch technisch gerecht werdenden, zunehmenden Formenvielfalt erschlossen. Weiterhin ist mit der Älteren Bronzezeit in vielen Gebieten die Anlage von Hügelgräbern, - im Gegensatz zu Flachgräbern -, und die Sitte, den darin bestatteten Toten Beigaben aus Bronze mitzugeben, verbunden.

Die Abgrenzung zur Jüngeren Bronzezeit bildet eine signifikante überregionale Veränderung der Bestattungsweise, der Übergang von der Körperbestattung zur Urnenbrandbestattung.

Obwohl die Gültigkeit dieser Definitionserweiterungen im Arbeitsgebiet nicht a priori vorausgesetzt werden kann und im Abschnitt 1.5. (Quellenlage) der Verifizierung bedarf, soll im Hinblick auf die Materialaufnahme vom Ansatz der mit Bronzebeigaben versehenen, in Hügelgräbern gefundenen Bestattungen, die nicht Urnenbrandbestattungen sind, ausgegangen werden.

 

[1.3] Forschungsgeschichte

Erste Nachrichten über älterbronzezeitliche Funde stammen von Grabungen eines Probst Zimmermann um 1772 (LAUX 1971, 250) bei Halligdorf, Lkr. Uelzen.

Von den in den nächsten einhundertzwanzig Jahren stattgefundenen Ausgrabungen durch Einzelpersonen und Altertumsvereine, deren Funde meist in Privatsammlungen wanderten, nehmen die Untersuchungen und die daraus erwachsene Veröffentlichung des Freiherrn G. O. Carl v. ESTORFF (1846) für die "Gegend von Uelzen" einen besonderen Rang ein. Neben seiner beachtenswerten Fundkarte und den Fundabbildungen belegt dies folgende Feststellung, die sich im Informationsgehalt seiner Fundbeschreibungen niederschlägt:

Wenn gleich man mit Gewissheit behaupten darf, daß steinerne und beinerne Gegenstände schon vor dem Getrauch von gläsernen, bronzenen, eisernen, goldenen und silbernen existiren [sic], so beweis´t wiederum das Vorkommen von steinernen und beinernen Anticaglien in einem und demselben Grabe, welches zugleich Sachen aus anderen Materialien enthielt, eine Gleichzeitigkeit, nämlich ein Hinübergreifen der Zeit-Abschnitte, in welche der Gebrauch von Sachen dieses oder jenes Materials, dieses oder jenes Metalls vorzugsweise fällt.
(v. ESTORFF 1846, V-VI)

Abgesehen davon, daß das Bestreben, die aufgefundenen Gegenstände in geeigneter Form zu gliedern, als durchaus zeitgemäß zu werten ist, Christian Jürgensen THOMSEN hatte sein "Dreiperiodensystem" 1836 publiziert, geht die Erkenntnis und Definition der Gleichzeitigkeit aller Objekte in einem "Geschlossenen Fund" und der sich daraus ergebenden Bedeutung für die chronologische Aussage weit darüber hinaus. Erst rund vierzig Jahre später erscheint das den Begriff "Geschlossener Fund" bis heute prägende und festlegende Werk von Oscar MONTELIUS (1885). (Zu v.ESTORFF s.a.: BATH 1959)

Das Einsetzen einer mehr wissenschaftlich orientierten Ausgrabungs- und Forschungstätikeit im Gegensatz zum reinen Sammlertum ist trotz der Kritik HACHMANNs, der auch noch vor wenigen Jahren eine "anachronistisch altertumskundlich ausgerichtete Forschungsweise" fortbestehen sieht (HACHMANN, Stw. Bronzezeit, 1978, 508), um 1900 anzusetzen, was sich auch in dem deutlichen Anstieg der pro Jahrzehnt bekanntgewordenen geschlossenen Funde in Tabelle 1 dokumentiert.

 

Jahrzehnt

geschl. Funde

evtl. geschl. F.

mehrfach vermerkte Ausgräber- und Findernamen

1980-1984

-

-

1970-1979

3

-

Voss, Helms-Museum

1960-1969

16

4

Köster, Voss, Schirnig, Deichmüller, Schünemann

1950-1959

15

-

Wegewitz, Deichmüller, Piesker

1940-1949

17

3

Wegewitz, Körner, Piesker

1930-1939

71

5

Wegewitz, Cassau, Krüger, Piesker

1920-1929

3

1

Wegewitz, Köhler

1910-1919

7

4

Lienau, Bünte, Lange

1900-1909

10

4

Lienau, Gützlaff, Römstedt

1890-1899

7

4

Pastor Wittkopf, Tewes, Meyer, Lange

1880-1889

1

6

Pastor Wittkopf, Weigel

1870-1879

2

4

Bracht

1860-1869

3

2

Enkhausen, Pflug

1850-1859

2

6

Vogell, Hahn, Kemble, Grahn

1840-1849

4

1

v. Estorff

1830-1839

1

4

v. Estorff

1800-1809

-

1

Rüdemann

1770-1779

-

2

Probst Zimmermann

[Tab. 1] Forschungsgeschichtliche Entwicklung der Quellenlage

(Aufgeführt wurden allein diejenigen Fundbeobachtungen, zu denen Namens- und Jahresangaben bekannt sind. Nicht einbezogen sind u.a. 33 bzw. 4 Funde aus Piesker-Grabungen ohne Jahresvermerk. Die Reihenfolge der namentlichen Nennung erfolgt grob von Nord nach Süd.)

 

[1.4] Forschungsstand

Unter diesem Punkt sind drei inhaltlich unterschiedliche Publikationstypen zusammenzufassen: Quelleneditionen, formenkundliche Untersuchungen und historisch orientierte Arbeiten, die jeweils für sich einen Teil des archäologischen Forschungsstandes repräsentieren.

 

[1.4.1] Quelleneditionen

Der von der wissenschaftlichen Institutionalisierung des Fachs, 1929 wurde das "Vorgeschichtliche Seminar" in Marburg gegründet, ausgehende systematisierende Einfluß wird besonders in der Qualitätsverbesserung der Grabungsberichte und anderer Materialvorlagen ersichtlich, wobei aber einschränkend bemerkt werden muß, daß im Arbeitsgebiet dieser Einfluß zunächst nur punktuell und durch bekannte Namen wie REINECKE, WEGEWITZ und KERSTEN repräsentiert wird.

Die monographische Bearbeitung der im Harburger und Stader Raum in den zwanziger bis vierziger Jahren erzielten Grabungsergebnisse durch WEGEWITZ (1949) ist besonders hervorzuheben, aber auch kleinere Berichte, z.B. von KRÜGER (1935a; 1935b) sollen entsprechend gewürdigt sein. Im Süden des Arbeitsraumes führte PIESKER von 1935-1944 eine große Anzahl von Ausgrabungen durch, da durch die Erweiterung der auch heute noch bestehenden Truppenübungsplätze Bergen-Hohne und Munster die obertägig erkennbaren Bodendenkmäler in ihrem Bestand gefährdet waren. Die zugehörigen Publikationen erschienen erst sehr viel später (1954; 1958), leider unter völliger Auslassung nachvollziehbarer Befundangaben.

Diese Lücken konnten durch LAUX (1971) zum Teil geschlossen werden, wobei dieser Arbeit das Verdienst zukommt, für den Großteil des hier betrachteten Raumes alle bis zum Stand von 1964 gemachten und erhaltenen Funde zusammengestellt zu haben, bzw. teilweise (Privatsammlungen) erstmals zu veröffentlichen. Für die dort nicht behandelten angrenzenden Gebiete geben SCHÜNEMANN für den Kreis Verden (1982) und VOELKEL für den Kreis Lüchow-Dannenberg (1959; 1970) jeweils einen zusammenfassenden Überblick.

Die weitere Forschungstätigkeit dokumentiert sich fast ausschließlich in mehr oder weniger umfangreichen Aufsätzen, die in Zeitschriften mit örtlicher (z.B.: Harburger Jahrbuch, Lüneburger Blätter), regionaler (z.B.: Nachrichten aus Niedersachsens Urgeschichte, Die Kunde) oder überregionaler Bedeutung (z.B. Germania, Prähistorische Zeitschrift) erschienen sind. Das gilt u.a. für die von VOSS durchgeführten Untersuchungen (1963a; 1963b; 1964; 1965; 1968; 1974), deren Publikation durch seinen plötzlichen Tod größtenteils auf dem Stand von Vor- oder Zwischenberichten blieb und die bisher keine vervollständigende Bearbeitung erfahren haben.

Eine Ausnahme von dieser Regel bilden die Ausgrabungen im Bereich des Elbe-Seiten-Kanals nahe Uelzen (PETERS 1969; SCHIRNIG / PETERS 1970; SCHIRNIG/HEINEMANN 1970; SCHIRNIG 1970, 1971, 1972), auch aufgrund der intensiven archäologisch-bodenkundlichen Zusammenarbeit (SCHIRNIG/HEINEMANN 1970, HEINEMANN 1971).

Leider klafft für die letzten Jahre eine größere Publikationslücke, die weder die von PETERS edierte "Dokumentation zur Archäologie Niedersachsens" (1975), noch die Herausgabe von älteren Funden durch LAUX (1973b ; 1979) zu füllen vermag. Erst während der Anfertigung vorliegender Arbeit wurde die Neuveröffentlichung von Quellen weiter fortgesetzt (LAUX 1984b).

 

[1.4.2] Formenkundliche Untersuchungen

Unter dieser Überschrift sollen die Arbeiten vorgestellt werden, deren vornehmliches Kennzeichen und Ziel die eingehende formale und stilistische Analyse von z.T. explizit ausgegrenzten Materialgruppen, bzw. ein sich darauf aufbauender Vergleich ist. ZIEGERT bezeichnet sie als "objektorientierte Forschungsansätze" (1980, 58) und bemerkt dazu weiter:

Eine solcher Art betriebene Arbeitsteilung innerhalb des Forschungsprozesses läßt hier mit Sicherheit den historischen Aspekt verdeckt vor Spezial-Ergebnissen, die später selbstverständlich für historische Arbeiten herangezogen werden könnten, meist jedoch tote Information darstellen, die lange Zeit ungenutzt bleiben und dann bei neuem Quellenstand und weiterentwickelten Methoden nicht mehr ohne erneute Überarbeitung brauchbar sind.
(ZIEGERT, a.a.O.).

Auf diese Forschungsgattung bezieht sich auch die eigentliche Kritik HACHMANNs (1978, 508), die schon oben zitiert wurde (s. Abschn. 1.3). Wichtig bleibt aber, welche historischen Erkenntnisse in Hinblick auf die Problemstellung diesen Untersuchungen entnommen und verwendbar gemacht werden können.

Schon Sophus MÜLLER (1878, 47) hatte erkannt, daß sich im Gebiet um Lüneburg ein eigenständiger "Formenkreis" anhand der dort gefundenen Fibelformen und bestimmter Verzierungsmuster an Ringen abzeichnete (nach: G. JACOB- FRIESEN 1973, 572/573). SPROCKHOFF (1937; 1941) bezeichnet ihn als "Kulturprovinz an der Ilmenau", während TACKENBERG (1949) genauer von "Formenkreis" spricht. In der Folge finden sich die Bezeichnungen "Lüneburger Bronzezeit" (PIESKER 1958), wie auch "Kulturkreis des Lüneburger Raums" (KLAMM 1984), wobei letztere Benennung den typologischen Charakter dieser Klassifikation völlig verkennt.

Die erste, gesonderte Beachtung findende Materialgruppe waren Schmuckscheiben (KRÜGER 1925). Kurze Zeit danach erschienen die Arbeiten SPROCKHOFFs zu verschiedenen Schwertformen (1927; 1931), denen eine Untersuchung zur "Entstehung der altbbronzezeitlichen Halskragen" nachfolgte (1939). TACKENBERG (1932) und später G. JACOB FRIESEN (1967, vgl. Abschn. 1.2.2) legten Bearbeitungen zur Typologie der Lanzenspitzen vor, PIESKER edierte 1938 bestimmte Fibelformen und 1964 einzelne Absatzbeiltypen. In jüngster Zeit wurden durch LAUX Fibeln (1973a) und Nadeln aus Niedersachsen (1976) in ihrem Formenschatz zusammengefaßt und in der Publikationsreihe der "Prähistorischen Bronzefunde" veröffentlicht.

Diese beiden letzteren Werke sind, mit Ausnahme der Funde der Jüngeren Bronzezeit, aus der bereits erwähnten Dissertation von LAUX (1971) erwachsen, die hier noch etwas näher zu betrachten
ist.

LAUX setzt sich nach erfolgter Materialaufnahme und der durch die gründliche Erfassung von Museums- und Sammlungsbeständen möglich scheinenden Rekonstruktion von Geschlossenen Funden (Vermehrung von ca. 30% gegenüber dem Altbestand), auf die weiter unten noch eingegangen werden soll
(Abschn. 3.2.2), folgende Ziele:

Damit ist es möglich geworden, den Fundstoff formenkundlich besser zu ordnen und chronologisch zu gliedern, so daß schließlich kulturgeschichtliche Ergebnisse - Tracht und Bewaffnung, Grabbräuche - vorgelegt werden können.
(LAUX 1971, 31)

Diese starke Betonung des formenkundlichen Ansatzes und die Tatsache, daß der Klassifikation von einzelnen Typen und Varianten im Vorfeld der chronologischen Betrachtung, allein vom Umfang der Arbeit her gesehen (reiner Textteil: 158 Seiten), knapp 40% der Untersuchung gewidmet sind
(63 Seiten), während z.B. der Abschnitt "Bestattungsarten" nur knapp 2% (3 Seiten) einnimmt, läßt die Objektorientierung offensichtlich werden.

Daraus ergibt sich zusätzlich die Frage, ob die aus dieser Sicht entwickelten "kulturhistorischen Ergebnisse" wirklich tragfähig sind und eine verwertbare Zustandsbeschreibung darstellen, und ob sie durch andere, problemorientierte Forschung (vgl. ZIEGERT 1980, 60) verifiziert oder falsifiziert werden können.

 

[1.4.3] Historisch orientierte Arbeiten

Hierunter werden Untersuchungen verstanden, die mittels eines methoden- bzw. fachübergreifenden Forschungsansatzes den Versuch unternehmen, multifaktoriell auf das Problem der Erfassung menschlicher Geschichte und Kultur einzugehen.

Der Untertitel: "Neue Methoden zur ethnischen und historischen Interpretation urgeschichtlicher Quellen" einer Arbeit BERGMANNs zur "Älteren Bronzezeit Nordwestdeutschlands" (1970) erweckt den Eindruck, diesem Anspruch gerecht zu werden, er will "über eine formen- und -typenmäßige Bearbeitung des Stoffes hinaus" (a.a.O. Teil A, 20). Die eingehende Durchsicht erweist aber, daß diese begrüßenswerte Absicht, die Bandbreite der Aufgabenstellung auch in der Bronzezeitforschung zu erweitern, in ihrer Realisierung unklar bleibt und zur Kritik herausfordert. Einerseits werden Probleme nur angerissen, wenn der Autor z.B. auf eine eigenständig aus dem Material erarbeitete Chronologie verzichtet (Teil A, 15), andererseits wird die im archäologischen Quellenmaterial gespeicherte Informationsmenge ethnisch überinterpretiert, wenn auf der Basis regional begrenzbarer "Formenkreise" zunächst "Bewaffnungs- und Kampfesartgemeinschaften" (Teil A, 44) herausgefiltert werden, die sodann zur "Deutung von Stämmen" (a.a.O.) führen.

Aus anderen Gründen ist die archäologisch-ökologisch orientierte Dissertation MÜLLER-PERBANDs in der 1977 vorgelegten Form wenig geeignet, zur Lösung der Fragestellung beizutragen, da in ihr, trotz der Hoffnung weckenden Überschrift, auf die Behandlung der Älteren Bronzezeit völlig verzichtet wird. Begründet wird dies damit, daß in keinem der kleinräumigen Untersuchungsgebiete Fundplätze in diese Zeitperiode datiert werden konnten (MÜLLER- PERBAND 1977, 69), wobei Fundplatz gleich Siedlungsplatz gesetzt wird (a.a.O., 66), und nur diese als "exakt"(a.a.O., 64) genug angesehen werden, um für eine "Besiedlungsgeschichte" verwertbar zu sein (a.a.O., 63).

Der Forschungsstand weist damit für diesen Bereich wissenschaftlicher Bearbeitung eine deutliche Forschungslücke auf, nur wenige Materialpublikationen (z.B.: VOSS 1965; SCHIRNIG/HEINEMANN 1970; SCHÖN 1981) versuchen implizit dieser Situation gerecht zu werden, indem die reinen archäologischen Funde und Befunde durch interdisziplinäre Zusatzinformationen erweitert werden.

 

[1.5] Quellenlage

Aufgenommen wurden insgesamt 347 Fundkomplexe, d.h. Funde mit mindestens zwei Objekten, zwischen denen ein äußerer oder innerer Zusammenhang sowohl in der zeitlichen als auch in der räumlicher Ebene (Befund!) möglicherweise gegeben schien. Es handelt sich dabei um 331 Grabfunde und 16 Hortfunde von 185 verschiedenen Fundorten; Siedlungsfunde sind nicht bekannt (vgl. Karte 2).

Die als Hilfestellung formulierte Charakterisierung der Älteren Bronzezeit als Beziehung zwischen Bronzefunden und Grabhügelbestattungen (s.o.) trifft für das Arbeitsgebiet in der Regel zu.

Die große Zahl der bekannt gewordenen Einzelfunde, LAUX allein gibt 1.438 an (1971 passim), wird ebensowenig berücksichtigt, wie Hügelgräber ohne Beigaben oder eindeutig gestörte Inventare

  [Karte 2] Fundorte (GIF-Datei 86,5 KB)

Zum räumlichen Aspekt ist zu sagen, daß große Ungleichgewichte in der Quellenlage erkenntlich sind, so weist der Kreis Gifhorn keinen einzigen und der sich nördlich anschließende Kreis Lüchow-Dannenberg nur sehr wenige Funde auf, die obiger Definition entsprechen, während z.B. allein die von PIESKER (1954, 1958, passim) untersuchten Gräberareale in den Kreisen Soltau, Fallingbostel und Celle mit zusammen über 90 Funden repräsentiert sind.

Aufmessungen von Grabhügelgruppen liegen nur im Falle von Wittenwater, Kr. Uelzen vor (Nr. 112, VOSS 1965, 344, Abb. 1), leider ist nur ein Hügel sicher der Älteren Bronzezeit zuzuweisen (s.o. u. Abschn. 1.2.2). Für "PIESKER- Grabungen" (a.a.O.) konnte anhand topographischer Fundplatzaufnahmen des Museums Bergen im Maßstab 1:25.000, die dankenswerterweise von Herrn Prof. Dr. Ziegert in Kopien zur Verfügung gestellt wurden, exemplarisch überprüft werden, ob es sich bei den publizierten Daten um vollständige Grabgruppenuntersuchungen handelt. Das Ergebnis ist, daß die identifizierten Hügelgruppen Wardböhmen-Hengstberg (Nr. 159), -Worbsloh (Nr. 161) und -Schafstallberg (Nr. 162) anscheinend auch noch nicht gegrabene Hügel enthalten, so daß von dieser Prämisse nicht ausgegangen werden sollte.

 

[1.6] Methodischer Ansatz

In Abschnitt 1.1. wurden bereits verschiedene Teilprobleme angesprochen, die sich aus der historischen Fragestellung heraus entwickeln und denen sich diese Arbeit widmen will. Die jetzige Kenntnis des archäologischen Forschungsstandes und der Quellenlage ermöglicht es, die weitere Art und Weise des Vorgehens zu präzisieren.

Im ersten Abschnitt soll versucht werden, ein möglichst umfassendes Bild der Umweltbedingungen aufzuzeigen, mit denen die Menschen, deren Sachüberreste uns als archäologische Quellen dienen, konfrontiert waren. Dabei muß betont werden, daß sich das Hauptaugenmerk auf die sog. natürliche Umwelt richtet, d.h. die physiographische und biotische Umwelt, in der Anpassungsmechanismen die Existenz von Einzelpersonen und Populationen bestimmen, soweit sie nicht durch aktive anthropogene Veränderungen außer Kraft gesetzt sind. Es gilt daher, dieses komplexe System in einzelne Faktoren aufzugliedern, wobei zu unterscheiden ist zwischen solchen, die bis in jüngste und damit nachvollziehbare, Zeit von menschlichen Eingriffen weitgehenst verschont blieben (z.B.: Orographie, Hydrographie und Klima) und anderen, bei denen das Ausmaß heutiger Nutzung den Schluß erlaubt, daß dort Um- und Überformungsprozesse stattgefunden haben (z.B.: Boden, Vegetation und Fauna). In letzteren Fällen sind Informationen zum Stand während des betrachteten Zeitraumes (s. Abschn. 1.2.2) nur über den Umweg multifaktorieller Rekonstruktionen zu erzielen, was definitive Aussagen über anthropogene Einflüsse zur damaligen Zeit zusätzlich erschwert.

Da zur Bearbeitung der Besiedlungsproblematik auf Siedlungsfunde nach dem Stand der Quellenlage verzichtet werden muß, wird auf Grabfunde in ihrer Eigenschaft als "primäre Siedlungsindikatoren" (JANKUHN 1952, 25) zurückgegriffen. Ihre Analyse, die Verwertung der in ihnen enthaltenen und der mit ihnen verbundenen Datenmengen, ist abhängig von der Klassifikation als "Geschlossene Funde" nach MONTELIUS (1903, 3), wobei besonders die von LAUX vertretene Rekonstruktion solcher Funde (1971, passim) zur Diskussion gestellt wird. Das weitere chronologische Verfahren orientiert sich an dem durch ZIEGERT aufgeschlüsselten Arbeitsgang zur Kombinationsstatistik (1983, 39/40). Aus der damit erreichten zeitlichen Gliederung des Materials sollen Erkenntnisse über Umfang und räumliche Bezüge der Besiedlungstätigkeit abgeleitet werden. Einschränkend ist zu sagen, daß die Quellenlage exemplarische Einzeluntersuchungen an Grabhügelfeldern, z.B. zur Sozialstruktur, nicht zuläßt.

Der letzte Abschnitt beschäftigt sich mit der Frage nach der kulturgeschichtlichen Stellung und Entwicklung dieses geographischen Raumes. Insbesondere ist zu klären, ob und wieweit Umweltinformationen und archäologische Erkenntnisse zu synthetisieren sind, und ob sich mit ihrer Hilfe regelhaft auftretende Normen verschiedener Qualität, seien es z.B. Beigabenkombinationen, Grabformen, Bestattungsorientierungen oder naturräumliche Lagekriterien des Bestattungsplatzes, als miteinander verknüpfte, zeitlich und räumlich nicht voneinander zu trennende Merkmale von Kulturgefügen identifizieren lassen. Erst unter letzterer Voraussetzung werden sich in der Tat kulturhistorische Aussagen treffen lassen, die über formenkundliche Vergleiche hinausgehen und die gerade für das Verhältnis zwischen Älterer Bronzezeit und Endneolithikum einerseits und Jüngerer Bronzezeit andererseits wegen ihrer Unabhängigkeit von periodisierenden Abgrenzungen von Bedeutung sind.

 

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© 1985/1999/2007 Martin Nagel M.A.

 

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